Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus trafen sich am Sonntag, den 27.1.2019, in Rostock zahlreiche Antifaschist*innen zum antifaschistischen Gedenkspaziergang. Gemeinsam wurde vom Doberaner Platz zum Denkmal „Für die Opfer des Faschismus“ im Rosengarten spaziert. Unterwegs wurden an mehreren Stolpersteinen Blumen niedergelegt. Im Rosengarten fand im Anschluss die Gedenkveranstaltung des VVN-BdA statt. Nach dem Niederlegen von Blumen und Gebinden beendete ein Genosse unserer Struktur das Gedenken mit einer emotionalen und kämpferischen Rede vor rund 80 Menschen.
Rostock Hart Backbord
Ein Grußwort einiger junger AntifaschistInnen:
„Plötzlich sah ich auf der Straße nahe des Lagers Gestalten in Weiß und Grau. Es war am Nachmittag, etwa gegen fünf Uhr. Zuerst dachten wir, die anderen Insassen kehren zurück. Ich rannte aus der Apotheke, um zu schauen, wer da kommt. Wie froh wir waren, als wir gesehen haben, dass es ein sowjetischer Aufklärungstrupp war. Küsse und Grüße nahmen kein Ende. Sie baten uns, wegzugehen. Wir durften da nicht stehen bleiben, es war unklar, wo der Feind war. Wir gingen ein paar Schritte zurück, aber dann kamen wir wieder.“ Mit diesen Worten berichtete eine namentlich unbekannt gebliebene Gefangene mit der Nummer 74233 von der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.
Heute vor 74 Jahren, am 27. Januar 1945 beendeten die vorrückenden Truppen der Roten Armee das Leiden der etwa 7.000 verbliebenden Insassen. Im gesamten Lagerkomplex Auschwitz fanden etwa 1.100.000 Menschen den Tor durch Arbeit, Krankheit, Hunger oder Vergasung. Das Leiden unter dem nazistischen Regime entzieht sich heute völlig unserer Greifbarkeit. Wir können uns nicht einmal Ansatzweise der Schrecken, der Untaten bewusst werden, die vor wenigen Jahrzehnten noch das Antlitz dieser Welt auf so verwerfliche Weise mitbestimmten.
Wir haben uns hier, am Gedenkstein für die Opfer des Faschismus getroffen, um denjenigen Menschen zu gedenken, die in Folge der Herrschaft des deutschen, italienischen, spanischen und japanischen Faschismus ihr Leben ließen, Verwandte, Freunde und Bekannte verloren. Unsere Trauer soll ihnen zu Ehren reichen.
Ich spreche heute zu euch als Teil einer Generation, die seit ihrer Geburt all diesen abscheulichen Verbrechen wider des Menschengeschlechts bereits mehr als fünf Jahrzehnte entrückt ist. Uns ist das Privileg zu Teil geworden, Menschen kennengelernt zu haben, die selber unmittelbar von faschistischer Gewaltherrschaft auf die ein oder andere Art betroffen waren, diese Eindrücke haben meine Generation geprägt. Ich stehe heute hier auch ihretwegen in Ehrfurcht, wir stehen heute hier auch ihretwegen in Trauer.
Unsere historische Herausforderung besteht darin, den nach uns Folgenden ähnliche Eindrücke zu vermitteln. Mit sicherer Bestimmtheit werden auch die letzten Zeitzeugen eines Tages nicht mehr sein um uns der Geschehnisse zu mahnen. Was bleibt denn den jungen Menschen nach uns dann noch?
Natürlich, Medien wie Bücher, Filme und sonstige Berichte bleiben ihnen erhalten, doch können sie den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.
Auch in den heutigen Tagen ist eine lebendige Erinnerungs- und Gedenkkultur gefragt, denn der Schoß ist fruchtbar aus dem dies kroch.
Auf den Straßen unserer Stadt gaben sich die extrem Rechten der sogenannten „Alternative für Deutschland“ bis vor Kurzem ihr allmonatliches Stelldichein, während sie ihre Faschistenfreunde schon im Bundestag hofiert. Die politische Situation in der kapitalistischen Welt gleicht einem hochentzündlichen Pulverfass, das nur einen Grund zur Explosion zu suchen scheint und Krieg, Zerstörung und Menschenverachtung wüten in unzähligen Gegenden unseres Planeten.
Auch und vor allem die Gräueltaten und Völkermorde des nationalsozialistischen Deutschlands müssen daher heute im kollektiven Gedächtnis präsent gehalten werden, um ein Wiedererstarken des Faschismus zu verhindern.
Unsere historische Verantwortung als Antifaschistinnen und Antifaschisten muss es daher sein, ein würdevolles Gedenken den Opfern dieser antifortschrittlichen Ideologien zu bereiten, seien es die des historischen Faschismus oder die durch nazistische Gewalt- und Mordtaten Betroffenen wie zum Beispiel der durch den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ ermordeten Rostockers Mehmet Turgut. Doch wie kann ein solches Gedenken aussehen? So wie auch diese Stätte muss es ein Gedenken „von Unten“ sein. Der Ausschuss der Opfer des Faschismus weihte dieses Denkmal am 5. Mai 1946 ein, es wurde allerdings erst auf ihre Forderung hin erbaut.
Unsere historische Aufgabe ist es also, ein ebenbürtiges Gedenken zu organisieren, um die Erinnerung präsent zu halten. Dass im Kampf wider dem Faschismus auf den Staat kein Verlass ist, zeigt uns die kontinuierliche Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik.
Wenn es den Mächtigen nicht mehr lieb ist, so wird das staatliche Engagement um eine Aufarbeitung faschistischer Verbrechen weniger werden. Die unerträglichen Rufe nach einem Schlussstrich werden immer schriller, immer lauter.
Eine selbstorganisierte, würdevolle und ausdauernde Gedenkpolitik ist und bleibt ein wichtiger Baustein im Bemühen, dass Auschwitz nie wieder sei.
Gedenken bedeutet Anklagen. Gedenken bedeutet Handeln. Gedenken bedeutet kämpfen.
Unsere historische Aufgabe bleibt der Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung unsere historische Aufgabe bleibt konsequenter Antifaschismus.
Ich möchte mit den wohl wichtigsten Worten des vergangenen und des vor uns liegenden Jahrhunderts schließen:
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!